500 Jahre Reformation – Anlass genug, um sich auch im Stadtmuseum der Geschichte der Protestanten in Wiener Neustadt zu widmen. Der Ansturm war enorm und Museumsdirektorin Mag. Eveline Klein war ob des Interesses, das man mit Sitzplätzen bei der Eröffnung nicht mehr abdecken konnte, sichtlich gerührt. Die Ausstellung „Evangelisch“, in die auch „viel Herzblut geflossen ist“ (Zitat Mag. E. Klein) ist vollständigkeitshalber erwähnt auch die letzte, die vor dem Umbau in den „alten“ Räumlichkeiten des Stadtmuseums stattfindet.
Martin Luther und seine 95 Thesen
Wie bereits erwähnt wird der Beginn der lutherischen Reformation vor 500 Jahren angesetzt – genauer gesagt am 31. Oktober 1517. An diesem Tag soll Martin Luther, ein bis dahin unbekannter Augustinermönch und Theologieprofessor, seine 95 (lateinischen Disputations)Thesen „wider das Ablas“ (lat. Original: disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum) an Albrecht von Magdeburg, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, verschickt und somit veröffentlicht haben. Als jedoch eine Antwort von diesem ausblieb, gab sie Martin Luther an weitere Bekannte weiter, die sie dann ohne sein Wissen veröffentlichten. Das Bekannte „An-Nageln“ der Thesen an der Schlosskirche zu Wittenberg ist nach jüngsten historischen Erkenntnissen eher als romantische Verklärung zu sehen, die so nicht stattgefunden haben dürfte.
Die Thesen finden Anklang in der „Allzeit Getreuen“
Ab 1540 dürften sich die Ideen der Reformation auch in Wiener Neustadt größerer Beliebtheit erfreut haben. Beispielsweise demonstrierte Bürgermeister Hans Kalchgruber 1543 eine durchaus ablehnende Haltung der katholischen Kirche gegenüber, in dem er selbst zu den großen Feiertagen den Gottesdiensten fern blieb. Sein Nachfolger Leonhard Eibenberger ließ sich und seiner Familie die Kommunion bei einem lutherischen Pfarrer in Aspang in „beiderlei Gestalt“ (Sub utraque specie) spenden. Die damaligen Bischöfe von Wiener Neustadt, Gregor Angrer und Heinrich Muelich, aber auch deren Nachfolger, konnten oder wollten nicht auf die neue Glaubensrichtung reagieren, da diese entweder lange Zeit von Ihrem Bischofssitz abwesend oder diesen nur kurze Amtszeiten beschienen waren. Dies führte zu stark steigenden Anhängerzahlen des reformatorischen Gedankens, die sich zum Großteil aus der Oberschicht rekrutierten und zahlenmäßig sogar die Hälfte der Bevölkerung ausmachte; das Kleinbürgertum und die Bauern blieben hingegen mehrheitlich katholisch.
Domprediger Balthasar Pichler
1565 kam es zum Eklat, als Domprediger Balthasar Pichler die Kanzel benutzte, um seine bevorstehende Vermählung zu verkünden. Der Bischof Christian Napponäus Radiducius unternahm vorerst nichts, um nicht Anlass für Unruhen zu geben. In weiterer Folge fand er jedoch Gehör und Unterstützer bei der Obrichkeit: Erzherzog Karl, Bruder von Kaiser Maximilian II., einem aufrechten Katholiken. Dieses Festhalten des Herrscherhauses am „alten Glauben“ war es auch der dazu führte, dass sich viele Protestanten nach außen weiterhin katholisch gaben. Viele Neustädter übten Ihre neue Religion auch nicht in Neustadt aus, sondern vornehmlich in Katzelsdorf, wo die freiherrliche Familie von Teuffel die 1571 vom Kaiser erlassene „Assekuration“ (Religionsausübung nach Augsburger Bekenntnis auf dem eigenen Gut) nutzte.
Die Gegenreformation
Mit Melchior Klesl betratt 1588 ein Mann die (Neustädter Bischofs)Bühne, der nachhaltig Einfluss auf die spirituelle Entwicklung der „Allzeit Getreuen“ nehmen sollte. Ursprünglich selbst in eine protestantische Familie geboren, konvertierte Klesl mit 16 Jahren zum Katholizismus. Er verbot die offene Religionsausübung der Protestanten, verweigerte denselben die Bürgerrechte, hob deren Geschäfte und Gewerbe auf und ließ sie schließlich aus der Stadt weisen. Zwar hatte Klesl mit den widerspenstigen Neustädtern seine liebe Not (“ es gäbe kein verderbteres, scheinheiligeres und aufrührerisches Volk als diese Neustädter“), seine Bemühungen für eine Rekatholisierung der Bevölkerung trug jedoch Früchte.
Freie Glaubensausübung in den österreichischen Kronländern
Es sollte noch 200 Jahre dauern, bis die Protestanten ihre Religionsausübung (mehr oder minder) legal ausüben durften. Durch das Toleranzpatent Josephs II. von 1781 wurde dies verschiedenen protestantischen Kirchen (Reformierte, Lutheraner) und den Orthodoxen zugestanden. Wenngleich die katholische Kirche weiter eine dominierende Rolle spielte – u.a. verblieb die Eheschließung in deren Händen – war ein großer Schritt einerseits für die Pluralität des Christentums, aber auch die Annäherung der verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen vollzogen worden.
Die evangelische Gemeinde in Wiener Neustadt heute
Die Gegensätze zwischen den verschiedenen christlichen Kirchen scheinen in Wiener Neustadt heute jedoch überwunden. So stellt die protestantische Gemeinde in unserer Stadt mit 1.000 Mitgliedern einen wichtigen Teil des spirituellen Lebens. Als die 1911 von Jaksch und Theiß erbaute (und größte niederösterreichische) evangelische Kirche stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, bauten diese Protestanten und Katholiken gemeinsam wieder auf. Auch das bisherige Interesse von Menschen aller christlichen Glaubensrichtungen an der Ausstellung zeigt, dass das Interesse aneinander und die Arbeit miteinander die gegenseitige über Jahrhunderte dauernde Ablehnung abgelöst hat.